Reisepanne – Wie ich einmal unfreiwillig mutterseelenallein nach Äthiopien flog …
Um es gleich vorwegzunehmen. Dies ist mal kein Reiseblog-Beitrag über Travel-Tipps und die Schönheiten von Äthiopien. Es ist eine kleine, verrückte Geschichte, wie sie Vielreisenden im Schnitt einmal im Jahrzehnt passieren kann. Bei mir als Protagonist und Leidtragender kommen selbst im Rückblick wieder kleine Adrenalin-Schübe hoch. Mittlerweile kann ich aber über diese Reisepanne mit einem kühnen Schmunzeln davon erzählen …
Die Ausgangslage
Gerade hatten wir das bei Musikern wie uns immer recht lukrative Sylvester sowie einen schönen Neujahrstag mit der Familie herumgebracht. Da ruft am 2. Januar auch schon wieder die Arbeit. Eine schöne Arbeit – zugegebenermaßen. Wir sind engagiert auf dem besten Kreuzfahrtschiff der Welt, der MS Europa 2. Zwei Konzerte in zwei Wochen, das war ebenfalls überschaubar. Auch über die Route von Kapstadt via Madagaskar nach Mauritius gibt es nichts zu meckern. Wenn nur nicht immer die lästige Reiserei wäre! Ohne die geht es aber leider nicht. Diesmal hatten wir An- und Abreise sogar nach unserem Ermessen selbst organisiert und vorgestreckt, standen dafür aber auch in der vollen Verantwortung pünktlich auf dem Schiff zu sein.
Die Anfahrt
Ich hole also nichts Böses ahnend den Kollegen mit dem Mietwagen ab. Und wir sind erstmal froh, dass unser gesamtes Gepäck von drei großen und zwei kleinen Trolleys gerade noch so in diesen Kleinwagen passt. Für die Strecke Allgäu – Frankfurt Flughafen spuckt Google Maps ca. 3,5 Stunden aus. Und los geht´s! Und dann nimmt das Schicksal seinen Lauf. Bereits nach wenigen Minuten auf der A7: Stau! Nun gut, Stau hinter Memmingen ist jetzt nichts wirklich Ungewöhnliches und so sind wir zunächst auch noch relativ relaxt. Der Stau entpuppt sich allerdings als hartnäckig lang. Bis Ulm fahren wir mit vielleicht durchschnittlich 30 km/h. Wir entscheiden uns gegen die Variante über Stuttgart, da dort ein weiterer langer Stau gemeldet wird und fahren Richtung Würzburg. Leider nicht allein. Stop & Go ohne Unterlass. Die Zeit wird knapp. Obwohl wir früh losgefahren sind, könnte es äußerst knapp werden, wenn das so weitergeht mit dem Stau.
Und es geht so weiter. Rund sechs Stunden verbringe ich mit einer einzigen 2-minütigen Pinkelpause – am Steuer nur anfahrend und wieder bremsend. Das zehrt an den Nerven. Außerdem verschlechtert sich das Wetter. Es ist mittlerweile dunkel, regnet stark und ist kalt. Im Armaturenbrett warnt die Anzeige vor überfrierender Nässe bei 1 ° Celsius. Wir resignieren, der Check-In-Schalter dürfte bereits am Schließen sein und wir sind immer noch irgendwo auf der Autobahn hinter Würzburg. Da plötzlich – vollkommen ohne ersichtlichen Grund – ist die Autobahn frei. Ich kann endlich einmal sogar in den zweiten Gang schalten! Trotz der äußeren Umstände fahre ich nun an die 200 km/h um vielleicht ein wenig Zeit aufzuholen. Dem Einwand der Fahrlässigkeit kann ich an dieser Stelle nichts entgegensetzen.
Online-Check-In?
Mein beifahrender Kollege ruft die Website der Fluggesellschaft auf. „Für Flüge nach Kapstadt ist ein Online-Check-In leider nicht möglich“ steht dort. „Egal!“ ruf ich ihm im Fahrstress zu, „probier´s trotzdem!“ Und manchmal ist die Technik sogar auf der Seite der Menschen. Im dritten Anlauf wider besseres Wissen schaffen wir es tatsächlich uns online einzuchecken – in letzter Minute – bevor der Online-Service eingestellt wird. Die Bordkarten haben wir nun, das Boarding müsste nun jede Minute beginnen. Wir brauchen jetzt ganz schnell einen Plan. Erstmal weiterrasen. Da! In der Ferne, das müssten die Lichter des Flughafens sein! Was aber machen wir mit dem Gepäck und dem Mietwagen??? Okay, also wohl trennen. Nur seinen Reisepass in der Hand springt der Kollege in der Parkzone aus dem Wagen und nimmt die Beine in die Hand. Ich bleibe zurück …
Resignation
Da sitze ich also nun mutterseelenallein in einem Mietwagen mit leergefahrenem Tank und fünf Trolleys im Frankfurter Schneeregen. Mir ist zum Heulen zumute. Anstatt in der Sonne bequem Geld zu verdienen, müssen wir nun womöglich sogar tausende Euro Vertragsstrafe fürchten, wenn wir unsere Jobs auf dem Schiff nicht antreten. Ohjemine. Eine SMS kommt rein. Der Kollege sitzt im Flieger, wenigstens das hat geklappt. Was mache ich denn nun bloß? Nehme ich ein Hotel? Oder mobil bleiben? Gebe ich den Mietwagen ab? Was dann mit fünf Koffern machen? Ich kann nicht mehr klar denken …
Ein Funken Hoffnung
Halt mal! Der Kollege kommt mit dem Nachtflug in der Früh in Kapstadt an. Das Schiff läuft aus … checking … checking … abends! Es bleiben also ein paar Stunden Luft. Vielleicht geht ja noch ein weiterer Flug nach dorthin? Checking … checking … hm, eigentlich kommen alle so spät an, dass ich bestenfalls das Schiffsheck beim Auslaufen sehen kann, außer … diese eine Verbindung mit einer äthiopischen Fluglinie – klingt ja „seriös“; Abflug wäre … checking … checking … schon in einer Stunde! Mist, kein Akku mehr. Ich lasse den Wagen einfach im absoluten Halteverbot zurück und renne ins Terminal zum nächstbesten Reisebüro. „1 x One-Way nach Kapstadt bitte!“ … „Oh, so teuer! Das war im Internet aber … ich nehm´s! Oh, umsteigen in Addis Abeba und Johannesburg … egal, kaufen! Oh übrigens, ich habe 5 Koffer, bitte mitbuchen!“
Erneute Eile
Dass immer in solchen Momenten die Kreditkarte hängen muss! Ich zahle also das Übergepäck extra in bar, den Restflug mit der ec-Karte. Boarding Card nach Addis und Jo´burg kriege ich sogleich. Für den letzten Abschnitt sagt das System immer „NOT ALLOWED“. Egal jetzt erstmal! Schnell das Gepäck dort abgeben! Mist, eine Schlange! Wie es wohl meinen Mietwagen draußen geht? Habe ich noch Zeit zu tanken? No way, dann verpasse ich auch den zweiten Flug. Es geht endlich vorwärts. Ich lasse mich in der Schlange vertreten und hole irgendwie umständlich meine fünf Koffer zum Schalter. Gut, die wäre ich los! Wohin mit dem Mietwagen – irgendwo einfach stehen lassen? Eine extra Runde suchend um den Flughafen! Das Boarding läuft bereits. Da, das Schild Car Rental Return. Ich fahre nur rein und schmeiße dem Mitarbeiter dort nur wortlos den Schlüssel in den Sch0ß! Wochen später sollte ich die Abrechnung erhalten. Fünf Euro der Liter Sprit! Egal, schnell zurückgehetzt zum Terminal und durch Security und Immigration. Äthiopien, ich komme! Endlich bin ich am Gate und steige als Vorletzter in die Maschine. Als Letzten bringt die Polizei einen Schwarzen, offensichtlich ein abzuschiebender Flüchtling. Da werde ich ein wenig nachdenklich. Und ich denke, ICH habe Probleme mit dieser Reisepanne …

Durch Reisepanne am Fughafen in Addis Abeba, Aethiopien
Am Flughafen in Addis Abeba, Äthiopien
Wir landen pünktlich. Trotz Nachtflug hatte ich kein Auge zugetan, so voller Adrenalin war ich noch. Wenn mir jemand gesagt hätte, ich würde diesen 3. Januar allein mit fünf Koffer an einem Flughafen in Äthiopien verbringen, ich hätte ihn ausgelacht ob seiner Fantasie. Aber da sitze ich nun. Immer wieder versuche ich am Schalter die letzte Bordkarte für den Flug Johannesburg-Kapstadt zu bekommen. Zu hören kriege ich immer nur: „I´m sorry, the system doesn´t allow. Please check in Jo´burg!“ Hm, sollte irgendetwas mit diesem letzten Abschnitt nicht klappen, war alles vorherige umsonst. Und ein weiteres Unheil kündigte sich an: DELAYED – prangte es an der Anzeigetafel. Auch das noch – noch länger bleiben in Äthiopien? Zum Glück nur etwa 45 Minuten … aber mein Anschluss …
Trouble in Johannesburg
Noch vor der Landung in Jo´burg will ich mich entscheiden. Warte ich dort dann am Kofferband auf meine Koffer, um sie einzeln durch den südafrikanischen Zoll zu bringen und verpasse ich aufgrund dessen vielleicht meinen Weiterflug nach Kapstadt. Oder ich hetze sofort weiter zum Schalter, besorge mir meinen letzten Boarding Pass und krieg den Flieger, stehe dann aber nachher in Kapstadt womöglich ohne Gepäck da. Beides doof. Vorsichtshalber schaue ich doch zum Gepäckband. Und da kommen sie auch schon meine fünf Koffer! Richtig entschieden! Schnell ab durch den Zoll damit, Busfahrt, Terminalwechsel, zwei Stockwerke hoch, Check-In-Schalter für Inlandsflüge. Der Flieger muss gleich gehen! Der netten Dame übergebe ich mein Gepäck und erzähle ihr von meinen System-Allow-Problemen in Deutschland und Äthiopien. Sie schaut in ihren Computer … checking … checking … sie schaut zu mir auf und schüttelt den Kopf. Oh, oh! Ist das jetzt echt Endstation meiner Aufholjagd?!? Lang kann sie ihre Maske zum Glück nicht aufrechterhalten! Prustend vor lachen übergibt sie mir die letzte Bordkarte mit den Worten „Have a nice flight!“. Sehr witzig, nun schnell ans Gate! Puh, nochmal DELAYED! Zum ersten Mal bin ich glücklich über eine Verspätung, sonst wäre es wohl mehr als eng geworden!

Anflug auf Kapstadt
Endlich in Kapstadt
Mit einer Stunde Verzögerung fliegen wir los. Sollte ich wirklich dieses Schiff noch erreichen dürfen? Nach etwa zwei Stunden Flug taucht der Tafelberg am Horizont auf. Wow, es könnte echt klappen! Mit einer riesigen Erleichterung und auch ein klein wenig Stolz im Gesicht rolle ich mit fünf Koffern aus der Flughafen-Ankunft. Der Kollege holt mich ab, aber groß Zeit können wir uns nicht lassen. Das Schiff ist auslaufbereit im Hafen. Und was soll ich sagen: HAPPY END! Mitsamt aller Koffer erreichen wir beide für zwei tolle Auftritte an Bord vertragsgemäß unseren Luxusliner. Das muss erstmal beim Auslaufen an der Sansibar am Schiffsheck begossen werden! Von unseren weiteren Abenteuern auf dieser Reise erzählen wir in weiteren Blogeinträgen zu Südafrika, Mosambique, Madagaskar, La Reunion und Mauritius.